09.10.2012

Engineering-Support: Schnelle Hilfe im Ernstfall

von Oleg Korb und Samuel Schlecht, Applikations-Ingenieure im Technischen Büro Südwest der WITTENSTEIN alpha GmbH, Ludwigsburg.

Die Anlage in Asien, die Inbetriebnahme kurz vor dem Beginn, ein unerwartetes Problem mit dem Antrieb – ein Szenario, das sich so kein Maschinen- oder Anlagenbauer wünscht. Schneller Support ist hier unerlässlich. Das Engineering-Team von WITTENSTEIN alpha im Technischen Büro Ludwigsburg unterstützte in einem solchen Fall einen Werkzeugmaschinenhersteller erfolgreich. Spezialisiert auf mechatronische Lösungen für den Maschinenbau und die Antriebstechnik bietet die WITTENSTEIN alpha GmbH neben Produkten wie z. B. spielarmen Planetengetrieben, Servo-Winkelgetrieben und kompletten Antriebseinheiten seinen Kunden auch umfassende Beratungskompetenz sowie eine Reihe von Engineering-Dienstleistungen. Mit speziellem Know-how und leistungsfähigen Softwaretools können im Kundenauftrag Kinematiken ausgelegt, dynamische und Mehrkörper-Simulationen durchgeführt oder FEM-Analysen erstellt werden. So können im Auslegungstool cymex® die Ergebnisse dieser umfassenden Simulationen und Analysen für die Auswahl passender Antriebskomponenten über eine spezielle Schnittstelle eingelesen und ausgewertet werden. Diese Schnittstelle ermöglicht außerdem die Auswertung der Lastdaten, die direkt an der bestehenden Anlage von der Motorsteuerung ausgelesen werden können. Damit kann das Engineering-Team von WITTENSTEIN alpha eine wichtige Unterstützung für den Kunden leisten – nicht nur bei der Entwicklung, sondern auch dann, wenn ein Antriebsstrang im Rahmen einer Inbetriebnahme oder im laufenden Betrieb optimiert werden muss. Die Lösungen orientieren sich dann sowohl am technisch Möglichen wie auch am konkret Machbaren – wie eines der jüngsten Engineering-Projekte belegt.

Kurz vor der Inbetriebnahme: Überlastung durch Taktzahlerhöhung

Kurz vor der Inbetriebnahme einer bereits ausgelieferten Werkzeugmaschine mit integrierten Handlingsystemen in einem asiatischen Land sollten kurzfristig die Leistungsdaten geändert und dadurch eine wesentlich höhere Taktzahlen als ursprünglich geplant erreicht werden. Aus der endkundenseitig gewünschten Modifikation resultierte jedoch eine Überlast des Antriebs für die Hubachse, die bis zu zwei Tonnen Masse bewegt und mit bis zu 2 m/s² beschleunigt. Der Motor überhitzte in der Lasthalteposition sehr schnell und schaltete sich dann zum Schutz vor thermischen Schäden ab. Eine kurzfristige Lösung war von Nöten. Da in der Maschine ein WITTENSTEIN-Getriebe vom Typ RP+060 mit Übersetzung i=110 eingesetzt wird, das die hohen Anforderungen der Applikation an Leistungsdichte, Präzision, Steifigkeit und Kippmomemente optimal erfüllt, wandte sich der Maschinenbauer mit der Bitte um Unterstützung an das Engineering & Support-Team bei WITTENSTEIN alpha in Ludwigsburg.

„Remote-Simulation“ des gesamten Antriebsstranges

Nach einer ersten Darstellung des Problems haben die Ingenieure zunächst die grundlegenden Rahmenbedingungen sowie sämtliche relevanten Applikationsdaten wie u. a. die Funktions- und Prozessbeschreibung, zu bewegende und zu haltende Massen, Beschleunigungen, Hubhöhen und Taktzahlen gesammelt. Mit diesen Daten wurde in einem speziellen Software-Tool zur Auslegung von Hebel-Kinematiken der Bewegungsablauf und die dabei entstehenden Kräfte und Belastungen analysiert und simuliert. Die Ergebnisse dieser Berechnungen wurden dann als Bewegungsprofile in cymex® 3 – eine von WITTENSTEIN alpha entwickelte und vielfach bewährte Software für die Auslegung von Antrieben – importiert. Für die weiteren Berechnungen war es erforderlich, den eingesetzten Motor samt seiner Daten in die Simulation des gesamten Antriebsstranges zu integrieren. Hierfür bietet cymex® 3 eine integrierte Datenbank, die aktuell mehr als 10.000 Motoren von über 40 Herstellern umfasst und so alle wichtigen Daten für die herstellerübergreifende Auslegung des Antriebsstrangs in der Werkzeugmaschine bereitstellt. Dies ermöglichte im konkreten Fall eine schnelle „Remote-Simulation“ über eine Entfernung von mehreren tausend Kilometern hinweg. Die folgenden Berechnungen im WITTENSTEIN-Engineering bestätigten, was sich in der Praxis ereignete: Der Motor war – aufgrund ungünstiger Hebelverhältnisse und der höheren Taktzahlen – im S1-Dauerbetriebsbereich überlastet.

Analyse des Antriebsstranges eröffnet verschiedene Optionen zur Optimierung

Auf der Basis der Simulation und Analyse, in der die kritischen Parameter identifiziert werden konnten, wurden verschiedene grundsätzlich Optimierungsvorschläge abgeleitet. Ein Ansatzpunkt war zunächst der Einsatz eines größeren Motors mit den erforderlichen Leistungsdaten. Da sich die Maschine aber bereits beim Endkunden befand, hätte dies vor Ort einen Ausbau des Motors, die Änderung der Maschine hinsichtlich der Motor-Anschlussmaße und die Beschaffung des neuen Motors bedeutet – eine Option, die mit erheblichen Kosten und vor allem einer zu langen Lieferzeit verbunden war und somit ausschied. Die nächste Möglichkeit zur Lösung der Aufgabenstellung zielte auf ein anderes Getriebe mit einer größeren Übersetzung ab. In diesem Fall müsste der Motor weniger Drehmoment aufbringen – er würde ausgehend von den Simulationsdaten aber immer noch in einem leichten Überlastbereich betrieben werden. Abgesehen davon, dass dies nicht den Anspruch der WITTENSTEIN-Ingenieure auf eine exzellente Problemlösung erfüllt, war diese Option auch mit einer Lieferzeit belastet – schied also ebenfalls aus. Als machbare und gleichzeitig technisch beste Alternative stellte sich die Änderung und Optimierung der Hebelverhältnisse an der Maschine heraus. Hierzu hat WITTENSTEIN alpha verschiedene Hebelverhältnisse berechnet und simuliert, als Video an den Maschinenbauer gesendet und anschließend mit ihm gemeinsam die optimale Lösung beschlossen. Vor Ort wurde daraufhin – ohne auf neue Komponenten warten zu müssen – der Kraftaufnahmepunkt in der Hubmechanik so versetzt, dass mit der vorhandenen Motor-Getriebe-Kombination die erforderlichen Taktzahlen ohne Überlastung des Antriebsstranges erreicht werden konnten. Mit dieser sehr zeitnah umsetzbaren Lösung, konnte der Maschinenbauer zusätzliche Konstruktions- und Anschaffungskosten vermeiden und den zeitlichen Ablauf der Maschinenabnahme vor Ort einhalten – zumal er auch an der Steuerung des Antriebsstranges keine Änderungen vornehmen musste.

Support in wenigen Stunden gemeistert

Wenn eine Maschinenabnahme bevorsteht und Probleme auftreten, ist neben qualifizierter vor allem schnelle Hilfe geboten. Im beschriebenen Fall vergingen zwischen dem ersten Anruf aus Asien und der Rückmeldung der Simulationsergebnisse und Optimierungs-Alternativen nur wenige Stunden. Aufbauend auf den Erfahrungen mit dieser Hubeinheit hat der Werkzeugmaschinenhersteller danach auch an anderen, ähnlichen Anlagen die Expertise von WITTENSTEIN alpha genutzt: Die jeweiligen Hebel-Kinematiken wurden nachgerechnet und die Hebelverhältnisse mit Hilfe der Ergebnisse wo erforderlich optimiert.

Ob in der Konstruktion oder im Ernstfall – erst eine ganzheitliche Betrachtung einer Antriebsaufgabe, d. h. die Betrachtung von Lasten und Bewegungen, ermöglicht die Optimierung von Getriebe und Motor. Grundlage hierfür sind spezifisches Ingenieur-Know-how, wie es WITTENSTEIN seinen Kunden bieten kann, und leistungsfähige Software-Tools wie cymex® 3 für die Simulation, Berechnung und Auslegung der mechatronischen Antriebslösungen. Wenn beim Engineering Eile geboten ist, können so auch in kurzer Zeit optimale Lösungen erarbeitet werden.